„Ich glaube, hätte ich mir meine eigene Endlichkeit eher bewusst gemacht, statt sie wie eine unerwünschte Laune wegzuschieben, vielleicht hätte ich dann anders gelebt.“ Doch dafür ist es für den 59-jährigen Heinz zu spät. Der Geschäftsmann ist einer von zwölf Gesprächspartner*innen, die Tim Wache besucht hat, um sich mit ihnen am Ende ihrer Lebenswege auszutauschen und darüber ein Buch zu schreiben.
Heinz, der den Autor fein gekleidet in seiner Unterkunft im Hospiz empfing, war viele Jahre auf der Überholspur des Lebens. Doch Wesentliches erkannte der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens erst, als er die Ausfahrt nahm, nehmen musste. Die Reduzierung der Geschwindigkeit hatte seine Sinne geschärft: „Wissen Sie, meine Nase ist bald 60 Jahre alt, aber im Grunde unbenutzt. Seit ich hier bin und weiß, dass meine Tage bald zu Ende sind, rieche ich alles.“
Ihre Sinne möchte auch Friederike erfahren, in einem ganz besonderen Moment, in dem sie den Geruch ihres Schwarms Anton wahrnimmt und den Regen hört, der auf die beiden niederprasselt, während sie sich küssen. Dieser Wunsch wird womöglich ein Traum bleiben, denn sie ist unheilbar an Krebs erkrankt. „Ich finde es total scheiße, dass ausgerechnet ich jetzt bald gehen muss, ich habe echt nichts verbrochen und keinem etwas getan und nun sagen die Ärzte, dass niemand mehr etwas für mich tun kann.“ Mit ihrer Situation hat sich Friederike noch nicht arrangieren können, kein Wunder, denn sie ist gerade einmal 20 Jahre alt.
Genauso jung wie Friederike ist Hannes, ebenso düster sind seine Zukunftsaussichten. In einer Lebensphase, in der viele junge Menschen noch gar nicht wissen, was sie mit ihren Leben anfangen wollen, weiß auch er schon, dass es in absehbarer Zeit zu Ende ist. Hannes, dessen Körper von Krebs und den Therapien stark beeinträchtigt ist, will die wenige Zeit, die ihm noch bleibt, nutzen. Kurzerhand flog er nach Moskau, um dort eine Urlaubsbekanntschaft wiederzutreffen. Vermutlich erfuhr er dort, dass eine Begegnung mit einem geliebten Menschen mehr wert ist als die Gewissheit, ihn vielleicht nie wiederzusehen.
Das Gespräch mit Hannes lässt in dem Autor des Buches die Erkenntnis reifen: „Und ich glaube, dass sich letztlich alles, was wir tun, darum dreht, zu lieben und geliebt zu werden.“
Ein beliebtes Thema ist das Lebensende wahrlich nicht. Abschiede, alltägliche wie auch endgültige, gehören auch nicht zu meinen Stärken. Im Prolog von Tim Starkes Buch „Was ich noch zu sagen hätte… wenn mich jemand fragen würde“ fühlte ich mich ertappt. Darin stellt er fest, dass Viele der Vergänglichkeit des Lebens entfliehen. Das Sterben sei kein Tabu, darüber zu reden aber schon. Mit unserer Geburt begeben wir uns auf einen Weg, der unausweichlich zum Tod führt. Für die einen ist er länger, für die anderen kürzer.
Wie der Tod gehören zu unserem Leben auch Begegnungen. Dass Tim Wache die Begegnungen mit jenen suchte, die am Lebensende angekommen sind, ist ungewöhnlich. Was er sieht und hört, hat er in einem einfühlsamen Buch verarbeitet, das wertfrei ist. Nicht die Lebensleistungen oder die Ungerechtigkeit eines nahenden Todes werden in den Mittelpunkt gerückt, sondern ganz individuelle Emotionen und Erfahrungen, die uns an seinen Begegnungen teilhaben lassen.
Wenn Sie zu dem Buch greifen, wird es wahrscheinlich nicht Ihr Leben verändern, aber vielleicht Ihre Sicht darauf. Sich mit der Endlichkeit unseres Seins auseinanderzusetzen lehrt uns Demut vor dem Leben.
Quelle: „Was ich noch zu sagen hätte… wenn mich jemand fragen würde“ ist ein Hospiz-Buchprojekt von Tim Wache in Zusammenarbeit mit Martina Grimm, die mit wunderbar pointierten Illustrationen den Gesprächspartner*innen ein Gesicht gab.